Hans Staden Vita

    Staden, Hans, * um 1525 in Homberg/Efze, † nach 1558 in Wolfhagen (?), Verfasser der Warhaftigen Historia, des ersten ausführlichen Berichtes über Brasilien in Europa. Sein Werk wurde ein Grundtext der europäischen Ethnographie durch die Darstellung einer fremden Kultur.

    Hans Staden wurde um 1525 in Homberg/Efze geboren, wo sein Vater Gernand in einem 1528 beginnenden Bürgerbuch genannt wird. Es ist davon auszugehen, dass S. die in Homberg bestehende Lateinschule besuchte. Hier vermittelten die Lehrer nach Einführung der Reformation auf der Synode in Homberg (1526) sicher konsequent die neue Lehre. Die vielen Bezüge zur Bibel und die Gebete in Stadens Werk machen deutlich, dass er von dieser Erziehung geprägt wurde. Nach der Bildung des Schmalkaldischen Bundes (1531) erlebte S. das angespannte Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten in Hessen. Da nach 1541 latent die Gefahr eines Krieges drohte, wird er sich nach seiner Schulzeit für den Beruf eines Soldaten entschieden haben, um sein Land und seinen Glauben zu verteidigen. Er dürfte am Schmalkaldischen Krieg (1546/47) teilgenommen haben, da er 1548 als ausgebildeter Büchsenschütze in portugiesische Dienste trat. Nach der Niederlage Philipp des Großmütigen (Juni/Juli 1547) wurde er wie alle anderen Soldaten entlassen. Er muss erfahren haben, dass die Portugiesen auf ihren Fahrten nach Indien deutsche Soldaten anwarben, und trat deshalb im Frühjahr 1548 über Bremen und Kampen (Niederlande) die Reise nach Lissabon an.

    Da nach seiner Ankunft die Flotte nach Indien bereits abgesegelt war, heuerte er als Büchsenschütze auf einem Schiff nach Brasilien an und kam im Januar 1549 auf seiner ersten Reise nach Pernambuco [heute Recife]. Er war beteiligt an der erfolgreichen Verteidigung der nahen portugiesischen Siedlung Igaraçu gegen die Caeté-Indianer. Im April begann die Rückreise, im Oktober erreichte das Schiff Lissabon. Hier hörte S. von der geplanten Expedition des Spaniers Diego de Sanabria in den La Plata-Raum. Er entschloss sich an dieser Fahrt teilzunehmen, kam mit einem englischen Schiff nach Südspanien und schließlich nach Sevilla, wo er erneut anheuern konnte.

    Am 10. April 1550 verließ S. auf seiner zweiten Reise mit einem Vorauskommando von drei Schiffen Spanien. Erst im November erreichten sie den Zwischenstopp bei der Insel Santa Catarina vor der brasilianischen Küste. Ein Schiff kam gar nicht an, die beiden anderen waren Anfang 1551 gesunken bzw. durch einen Sturm zerstört worden. Knapp zwei Jahre harrte S. mit seiner Mannschaft an der Küste aus und hoffte auf ein spanisches Schiff, das sie aufnehmen würde. Weil das nicht gelang, ließ Kapitän Salazar ein kleines Boot bauen und fuhr mit 12 Soldaten, unter ihnen Staden, an der Küste nach Norden. Ende des Jahres 1552 erreichten sie São Vicente, eine wichtige Siedlung der Portugiesen, wo S. aus spanischen Diensten ausschied.

    Bald darauf wurde er von den Portugiesen als Kommandant einer kleinen Festung am Nordende der Insel Santo Amaro eingesetzt. Die Insel erstreckt sich direkt vor dem Festland von São Vicente 30 Kilometer nach Norden. In Sichtweite von Stadens „Bollwerk“ lag an der Küste die Festung Bertioga. Beide Anlagen sollten den Schutz von São Vicente gewährleisten, weil Indianer vom Stamm der Tupinambá den Sund zwischen dem Festland und der Insel für häufige Angriffe auf die Stadt nutzten. Im März 1553 kam der Generalgouverneur von Brasilien, Thomé de Sousa, und verpflichtete S. für zwei Jahre als Kommandant seiner Festung. In der Nähe seiner Festung wurde S. um die Jahreswende 1553/54 von den Tupinambá überfallen und gefangen genommen. Sie verschleppten ihn drei Tagesreisen mit dem Boot nach Norden in ihre Siedlung Ubatuba. Dort sollte er als gefangener Portugiese getötet und gegessen werden. Seit Beginn seiner Gefangenschaft betete S. und bat Gott ihn zu retten. Bei vielen Gelegenheiten versuchte er gegenüber den Tupinambá das Wirken seines Gottes als mächtig zu erweisen. Als er beim Ausbruch einer seuchenartigen Krankheit gebeten wurde, als Heiler mit der Hilfe seines Gottes zu helfen, versuchte er das und hatte dabei so viel Erfolg, dass er fortan wie ein Schamane geachtet wurde. Man glaubte ihm endlich, dass er kein feindlicher Portugiese war. Die Gefahr, getötet zu werden, war damit gebannt. S. wurde an ein anderes Dorf verschenkt und kam im Oktober 1554 mit den Tupinambá auf ein Schiff französischer Händler, die mit den Indianern befreundet waren. Dem Kapitän und seiner Mannschaft gelang es mit Geschenken die Tupinambá zu überzeugen, dass S. mit ihnen nach Europa zurückkehren konnte. Ende Oktober fuhr man los und erreichte am 20. Februar 1555 Honfleur in Frankreich. Über Dieppe und London gelangte S. nach Antwerpen, wo er den reichen Kaufmann Jaspar Schetz aufsuchte. Ihm konnte er über Peter Rösel berichten, den er als Verwalter einer Zuckerfabrik von Schetz in São Vicente kennen gelernt hatte. Mit der finanziellen Hilfe von Schetz kam er im Frühjahr zurück nach Hessen. Im Homberg wird er seinen Vater nicht mehr gefunden haben, der seit 1551 als Bürger in Korbach lebte.

    Man kann davon ausgehen, dass S. nach Korbach kam und bei der Familie und Freunden von seinen Erlebnissen in Brasilien erzählte. Durch seinen Vater fand er Kontakt zu Johannes Dryander von der Universität Marburg, der dafür eintrat, dass S. sein Wissen über Brasilien als Reisebericht veröffentlichen konnte. Bald nach seiner Rückkehr wird S. begonnen haben sein Buch zu schreiben. Weil Dryander die Entstehung des Buches wie ein Herausgeber begleitete und die Holzschnitte für das Werk vielleicht mit dem Formschneider besprochen werden mussten, hielt sich S. wohl einige Zeit in Marburg auf. Es wird die Zeit sein, in der er hier das Herstellen von Salpeter erlernte. In einem Dokument aus dem Jahre 1558 beklagt sich später ein Meister aus Marburg, dass ein „Hans Stadenn vonn Corbach“ ihm die Zahlung der Ausbildungskosten noch schuldig sei. S. wird in dieser Zeit bei seinem Vater in Korbach gewohnt haben.

    Etwa ein Jahr nach dem Beginn der Niederschrift, am 20. Juni 1556, unterzeichnet er die Widmung der Warhaftigen Historia an den Landgrafen Philipp den Großmütigen mit „ytzt Burger zum Wolffhagen“. Sein Werk schickte er, sicher bald nach dem Druck 1557, mit einem undatierten Empfehlungsschreiben an Wolrad II. von Waldeck, das er mit „Hanns Staden von Hombergk in Hessen, itzo zum Wolfhag[en] wonhaftig“ unterzeichnete. S. wird also seit 1556 als Bürger in Wolfhagen gewohnt haben. Warum er sich hier ansiedelte, ist unklar, denn weitere Nachrichten über sein Leben sind nicht überliefert. Die Vermutung, S. habe als Seifensieder und Pulvermacher bis 1576 in Wolfhagen gelebt und sei dort an der Pest gestorben, kann mit den vorhandenen Dokumenten nicht eindeutig belegt werden. Das gilt auch für das öfters genannte Jahr 1579 als Sterbejahr.

    Geprägt von seinem Erleben in Brasilien, wollte S. seinen Lesern berichten, wie Gott ihn als „Christgleubigen“ von einem „gotlosen haydnischen volke“ erlöst habe. Beteuert wird das in seiner „Beschlussrede“ und in ähnlicher Formulierung mehrfach. In der Dedikation an den Landgrafen betont er mit dem Bezug zum 107. Psalm, dass es seine christliche Pflicht sei, der „Gemeinde“ von seinen Erlebnissen zu berichten. Entscheidenden Einfluss auf das entstehende Werk hatte Professor Johannes Dryander (1500-60), Mediziner und Mathematiker an der Universität Marburg. Dieser bedeutende Naturwissenschaftler wusste, dass S. so viel erlebt hatte, dass er ihn überzeugen konnte, in einem zweiten Teil ganz sachlich über die Kultur der Tupinambá zu berichten. Auf ihn geht sicher auch der Vorschlag zurück, die Erzählung und die Beschreibung mit 54 Holzschnitten und einer Karte von der Küste Brasiliens zu verdeutlichen. Sie werden nach Vorzeichnungen von S. entstanden sein und unterscheiden sich durch ihre genaue Widergabe der brasilianischen Wirklichkeit von den oft phantasievollen Bildern europäischer Künstler, die in früheren Berichten zu finden waren.

    Die Warhaftige Historia vnd beschreibung eyner Landtschafft der Wilden / Nacketen / Grimmigen Menschfresser Leuthen … erschien im Frühjahr 1557 in Marburg. Eingeleitet wurde sie von einem umfangreichen Vorwort von Dryander, der die Authentizität des Berichts mit Argumenten bekräftigte. Im ersten Drittel des 178 Seiten umfassenden Werkes berichtete Staden über seine beiden Reisen bis zur Zeit der Gefangenschaft, im nächsten über die Zeit seiner Gefangenschaft und im letzten über die Tupinambá. In einfacher Sprache konnte er anschaulich und spannend erzählen, was er auf seinen Reisen erlebte. Als dauernd vom Tode bedrohter Gefangener formuliert er einen subjektiven Erlebnisbericht, in dem er dem Leser verständlich machen wollte, dass er nur mit Gottvertrauen und Gebeten sein Leben retten konnte. Stilistisch steht er in der Tradition der zeitgenössischen Erbauungsliteratur.

    Im zweiten Teil berichtet S. in einer objektiv gehaltenen Sprache über das Leben, die Sitten und die Gesellschaft der Tupinambá an der Küste zwischen São Vicente und Rio de Janeiro. Mit der nüchternen Sprache eines ethnologischen Beobachters beschrieb er das Verhalten von Männern und Frauen in ihrem Alltag, ihr Verhalten auf Kriegzügen und einige Pflanzen und Tiere. In einem langen Kapitel, verdeutlicht mit vielen Holzschnitten, berichtete er über die Anthropophagie der Indianer, die er als ein mehrtägiges Fest mit ihren rituellen Aspekten erlebte.

    S.s Reisebericht erschien 1557 erneut im Herbst bei Andreas Kolbe in Marburg und zweimal in Frankfurt als Nachdruck mit thematisch fremdem Bildmaterial. Das erkennbare Interesse der Leser zeigt die dann lang anhaltende Rezeption der Warhaftigen Historia, die mit einer Übersetzung ins Niederländische (1558) und Niederdeutsche (ca. 1561) begann und weiteren Auflagen in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten notwendig machte. Mit der Übersetzung ins Lateinische wurde S.s Werk in die Sammlung amerikanischer Reisebeschreibungen (Bd. 3, 1592) von Theodor de Bry aufgenommen und mit Kupferstichen ausgestattet, die auf den Holzschnitten im Original beruhten. Im 19. Jahrhundert wurde mit den Übersetzungen ins Französische (1837), Englische (1874) und Portugiesische (Rio de Janeiro, 1892) die internationale Bedeutung des Werkes erkennbar. In Deutschland erschien es seit 1859 in vielen Auflagen, als Faksimile, in Bearbeitungen und als Jugendbuch. Der brasilianische Autor Monteiro Lobato popularisierte 1927 mit seinem erfolgreichen Kinderbuch Aventuras de Hans Staden S.s Werk in seinem Land, in dem sich auch Künstler und Filmproduzenten mit dem Reisebericht des Hessen auseinandersetzten.

    Kritsche Einwände gegen die Authentizität des Werkes wurden Ende des 20. Jahrhunderts erhoben. Sie beanstanden im Kern, dass man S. vorwarf als Augenzeuge unzuverlässig zu sein, dass er von Vespucci und anderen Autoren Teile seines Werkes übernommen habe, dass es den von ihm erlebten und beschriebenen Kannibalismus gar nicht gegeben habe und nicht er der Autor sei, sondern Dryander. Man unterstellte S. auch, er habe mit dem Titel seines Werkes ganz bewusst einen Bestseller geplant. Inzwischen haben neuere Veröffentlichungen mit überzeugenden Argumenten diese Kritik in allen Teilen als nicht begründet zurückgewiesen. Die Warhaftige Historia ist und bleibt damit für das brasilianische Selbstverständnis ein unverzichtbares Werk zur frühen Geschichte des Landes. Dies gilt besonders für die Information, die S. im zweiten Teil über das Leben der Tupinambá an der Küste Brasilien vermittelt, die 50 Jahre später durch Kriege und Seuchen vernichtet wurden. Darüber hinaus ist sie wohl das wichtigste Werk eines deutschen Autors zur Geschichte der Entdeckung Amerikas im 16. Jahrhundert.

    Von Wolfgang Schiffner

    Erschienen im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon

    XXXV. Band, Ergänzungen XXII, Seite 1345-1351

    Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2014

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