Stadens Werk war nicht nur wegen des Berichts über ein in Europa weitgehend unbekanntes Land von großem Einfluss. Denn abgesehen von wenigen Nachrichten in den Briefberichten von Amerigo Vespucci und anderen ephemeren Texten war damals nichts über Brasilien bekannt. Seine Bedeutung liegt auch darin, dass er durch eine geschickte literarische Strategie eines Authentizitätsdiskurses den zu der Zeit noch unpersönlichen Reisebericht auf die Ebene einer persönlichen Erzählung (Narrratio) hebt, auch wenn diese noch stark von erbaulichen Texten geprägt ist. Er verbindet damit religiöse Elemente als Rechtfertigung dafür, überhaupt einen solchen Bericht geschrieben zu haben, mit der zeitgenössischen Realität des von ihm erlebten Landes. Dies war ein in der Geschichte der Reiseliteratur zentraler Schritt. Es genügt einen der mittelalterlichen Pilgerberichte nach Jerusalem zu lesen, oder selbst Marco Polos Chinabericht (Il Milione, entstanden um 1298/99), um den Unterschied zu solchen unpersönlichen Texten zu verstehen. Dabei ist Staden als Erzähler und in den beigegebenen Texten wie der Widmung an Landgraf Philipp auch als Autor in seiner Jetztzeit der Reformation und damit seiner eigenen Realität und der seiner Leser präsent. Seinen moralischen Anspruch untermauert der Protestant Staden durch einen starken Bezug auf lutherische Elemente und seine des Öfteren thematisierte Zeugenschaft für den Glauben. Es gelingt ihm, sein doch recht großes Verständnis für die Fremdkultur, der er mit einem offenen Blick begegnet ist, mit dem christlich-moralischen Urteil so zu verbinden, so dass sich in seiner Darstellung beide Elemente der Angst vor der Fremdheit des ihn bedrohlichen Kannibalismus und der für das Fremde offenen Wahrnehmung nach seinen eigenen Wertmaßstäben einander die Waage halten. Das geschilderte Erleben wird damit für seine ersten Leser wie für den Erzähler des Texts erlebbar, was allerdings diskursiv durch Wahrheitsbeteuerungen erarbeitet werden muss. Diese erfolgen auf der Text und Bildebene. Die Trennung von seiner persönlichen Erzählung im ersten Teil und dem ethnographischen Bericht im zweiten untermauert diesen Wahrheitsanspruch, sachlich objektiv zu berichten. Der im Text erhobene Anspruch auf Augenzeugenschaft verleiht dem Referierten damit einen neuen Status, den in diversen Berichten erwähnten Kannibalismus dieser Indianer selbst erlebt zu haben. Er schildert ihn in einer nie gekannten Ausführlichkeit, der Vergleich mit zeitgenössischen französischen und portugiesischen Quellen erweist diese genauen Schilderungen als wahrheitsgetreu. Verschiedene Versuche, dies unter diversen Promissen als fake news zu erweisen, müssen heute als methodisch überholt gelten, auch wenn das Thema in der Populärpresse immer wieder auftaucht. Der Ethnologe Mark Münzel bringt dies gut auf den Punkt: „Das Problem der rein ideologiekritischen Dekonstruktion von Staden ist, dass sie ihrerseits ideologisch ist, indem sie grundsätzlich von der Nichtexistenz der Anthropophagie ausgeht, die nicht zum westlichen Weltbild passt.“ (Münzel 2006, S.19) Auch die Ebene der sehr einfachen, nach Stadens Vorgaben von unbekannten Künstlern erstellten Bebilderung dient dieser bewundernswert ausgeklügelten Struktur. Diese einfachen, aber in der Rezeption außergewöhnlich einflussreichen Holzschnitte zeigen nicht nur das indigene Leben, real nachweisbare Küstenlinien und Elemente der indigenen Kultur, sondern auch den Zeugen Staden mit moralisch-verurteilenden Gesten oder als Gefangenen in einem Tupinamba-Dorf, wo er kannibalistische Szenen abbildet. Vor allem durch diese Bebilderung wurde das Buch zu einem Markstein der Reiseliteratur und ist in Brasilien durch zahlreiche Bearbeitungen als Kinder – und Jugendliteratur sowie durch zwei Filme im kulturellen Imaginarium des Landes als erstes Brasilienbuch und Gründungstext präsent.